MATADORE und EUTHANASTEN


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A l f r e d R a c h a l s k i

M A T A D O R E
u n d
E U T H A N A S T E N
Ein Interview mit dem Autor geführt von Rafael Derfla,
ergänzt mit
Klassifikation des Begriffs THANASE

Titel der Originalausgabe: MATADORZY I EUTANASCI

Copyright (C) by Alfred Rachalski & Wydawnictwo Marabut Gdañsk 1997
Umschlagmotiv: Zeichnung von Pablo Picasso
Aus dem Polnischen übersetzt von Gabriela ¯elewska

Mit Andenken an Bob Dent aus Australien,
den ersten legalen Euthanasten,
September 1996,


Witold Gombrowicz

      Ich habe M.. im Spital besucht – er stirbt seit vielen Monaten dahin, immer gründlicher, doch, wie die Ärzte sagen, wird er noch gut ein paar Wochen zu sterben haben. Er lag bewegungslos da, den Kopf auf dem Kissen, Stückchen für Stückchen vom Tode gegessen, jeden Tag ein wenig mehr gestorben. Ob und wie sehr er litt?
      Im Zimmer waren auch einige Lebende – ich möchte sagen – Assistenten, denn sie assistierten... mit bekümmerten Mienen, die nicht wussten, was machen, abgesondert von diesem Märtyrer durch die Überzeugung, dass nichts zu machen sei und man so lange warten müsse, bis er alle Viere von sich streckt. »Man lebt einsam und man stirbt einsam« - ein Gedanke Pascals. Nicht ganz. Man lebt dennoch in einem Haufen, und einer hilft dem anderen, erst wenn der Tod anklopft, sieht der Mensch, dass er allein ist ... und Mann gegen Mann ... wie jene erlöschenden Tiere, von denen sich die Herde entfernt in winterliche Nacht. Warum ist der menschliche Tod immer noch wie der tierische Tod? Warum sind unsere Agonien so einsam und so primitiv? Warum seid ihr nicht fähig gewesen, den Tod zu zivilisieren?
      Wenn man bedenkt, dass diese entsetzliche Sache, die Agonie, unter uns als eine ebenso wilde grassiert wie in den ersten Tagen der Schöpfung. Nichts ist getan worden darin im laufe der Jahrtausende, man hat dieses Wilde tabu nicht berührt! Wir betreiben Fernsehen und benützen elektrische Bettdecken, aber wir sterben wild. Es kommt vor, dass eine schüchterne Spritze des Arztes heimlich die Qualen durch verstärkte Morphiumgaben verkürzt. Ein schamhafter Eingriff, allzu winzig gegenüber der riesenhaften Allgemeinheit der Sterbens. Ich fordere Sterbehäuser, ein jeder neuzeitliche Mittel für ein leichtes Sterben zur Verfügung hätte. Wo man glatt sterben könnte, nicht aber, indem man sich unter einen Zug wirft, oder sich an einem Fenstergriff erhängt. Wo der müde, verbrauchte, beendete Mensch sich den freundschaftlichen Armen eines Spezialisten anvertrauen könnte, damit ihm ein Tod ohne Qual und Schande gesichert sei.
      Warum nicht – frage ich – warum nicht? Wer verwehrt euch, den Tod zu zivillisieren? Die Religionen? Ach, diese Religion ... heute den Selbstmord verbietend, gestern nicht minder laut Anästhesie-Mittel verwerfend ... vorgestern Sklavenhandel erlaubend, Kopernikus und Galilei verfolgend ... diese mit Blitz und Donner verdammende Kirche, sich aber dann diskret und leise zurückziehend ... welche Garantie habt ihr denn, dass in einigen Jahrzehnten die heutige Verdammung des Selbstmörders nicht weich werden und unmerklich im Sande verlaufen wird? Inzwischen aber sollen wir sterben wie Hunde, in Zuckungen und Geröchel – geduldig sollen wir warten, diesen langsamen Weg mit Millionen von entsetzlichen Todeskämpfen bestreuend, wovon man in Nachrufen schreibt: »nach langem und schweren Leiden«? Nun nein, die Rechnung für diese »Interpretationen« der heiligen Texte ist bereits allzu hoch und blutig, und besser wäre es, die Kirche würde der Scholastik entsagen, die allzu arbiträr ins Leben hineinredet. Schließlich, wenn gläubige Katholiken einen schweren Tod sterben wollen – ihre Sache. Warum aber wagt ihr es nicht, Atheisten oder nur lose mit der Kirche verbundene Menschen, euch zu etwas so Einfachem aufzuschwingen und euch den Tod zu organisieren? Was widert euch an? Ihr habt getan, was nötig ist, um euch von einem Ort zu einem anderen umzuquartieren, wenn ihr eine Wohnung wechselt, aber, wenn es sich um einen Umzug in jene Welt handelt, so wollt ihr, dass dies nach altem Brauch, nach uralter Methode des Verreckens geschehe?
      Wie unwissend dunkel ist doch diese eure Unbeholfenheit! Wenn man bedenkt, dass ein jeder von euch sehr gut weiß: niemand seiner Allernächsten wird dem Dahinsterben entgehen, es sei denn, er hätte das außergewöhnliche Glück eines plötzlichen und unerwarteten Todes; ein jeder wird allmählich vernichtet werden, bis manchmal sein Antlitz unerkennbar wird – und dieses wissend, dieses unentrinnbare Schicksal kennend, werdet ihr keinen Finger rühren, um euch Qualen zu ersparen. Was fürchtet ihr denn? Dass allzu viele Menschen davonschlüpfen würden, wenn ihr die Pforten allzu weit öffnet? Erlaubt denen zu sterben, die den Tod wählen. Zwingt niemanden zum Leben durch die Unbequemlichkeit des Dahinscheidens – das ist allzu niederträchtig.
      Die Erpressung, die in einer künstlichen Erschwerung des Todes erhalten ist, ist eine Schweinerei, die die wertvollste menschliche Freiheit antastet. Denn meine höchste Freiheit beruht darin, dass ich mir in jeder Sekunde die Hamlet-Frage stellen kann: »sein oder nicht sein?« - und frei auf sie zu antworten vermag. Das Leben, zu dem ich verurteilt bin, kann mich zertreten und schänden mit der Grausamkeit einer wilden Bestie, doch ist in mir eine herrliche und souveräne Anlage – dass ich mich selbst des Lebens entledigen kann. Wenn es mein Wunsch ist, brauche ich nicht zu leben. Ich habe mich nicht auf die Welt erbeten, aber wenigstens bleibt mir das Recht davonzugehen ... und das ist das Fundament meiner Freiheit. Und auch der Würde (denn mit Würde zu leben heißt freiwillig leben). Doch das fundamentalste menschliche Recht auf den Tod, eines von denen, die in die Konstitution aufgenommen werden sollten, verfiel einer allmählichen und unmerklichen Konfiszierung – auf jeden Fall habt ihr das so eingerichtet, damit es so schwierig als möglich sei ... und möglichst schrecklich ... damit es schwieriger und schrecklicher sei als es bei dem gegenwärtigen Stand der Technik sein sollte. Dies bringt nicht nur unsere blinde Bejahung des Lebens zum Ausdruck in einer völlig tierischen Skala – dies ist vor allem ein Ausdruck eurer unheimlichen Dickfelligkeit, wenn es um den Schmerz geht, den ihr noch nicht an euch erlebt, um die Agonie, die noch nicht die eure ist – das ist diese dumme Leichtsinnigkeit, mit der man das Sterben erträgt, solange es noch fremdes Sterben ist. All diese Rücksichten und Rücksichten – dogmatische, nationalistische, lebens-praktische – diese ganze Theorie, diese ganze Praxis schlägt ein Rad wie ein Pfau ... weit vom Tode. Wie am weitesten.

      R.D. Sie haben eine ganze Reihe von Äußerungen verschiedener Personen gegeben. Sie sind erschütternd. Besonders dann, wenn man sie in ihrer großen Menge hört.
      Ich bin jedoch der Meinung, dass sie Ihre Ansichten vor allem anhand Ihrer eigenen Erlebnisse und Empfindungen gestaltet haben.

      A.R. Das stimmt. Äußerungen anderer Personen, die mir "theoretisch" entgegenkamen, oft im Moment, wo ich bequem mit dem Buch im Bett lag, waren nicht von so großer Einwirkung, wie die eigenen Erlebnisse.
      Ich erzähle Ihnen einige von ihnen, die mit der Euthanasie verbunden sind. Über die Fälle der Autoeuthanasie der mir bekannten Personen oder sogar meiner Nächsten werde ich ruhig hinweggehen, obwohl es einige zehn waren. Ich beginne jedoch mit den Erinnerungen an meine eigenen Ängste vor dem Leiden. Als ich noch ein Teenager war, kannte ich das Leiden fast ausschließlich von der Literatur her, von den Darstellungen in den Kirchen (Fresken und Ölmalerei, die die Hölle und die grausam gequälten Märtyrer darstellten; immer wieder Bilder des nackten Gekreuzigten) und von dem im damaligen Wilno populären Anblick der Tierquälerei, vor allem der Pferde und Hunde.

      Das Leiden schien mir oft erlösend, veredelnd oder unwichtig zu sein, falls es die Tiere betraf.
Und vor allem betraf es die anderen. Erst als der Krieg kam, an dem ich 1939 in der motorisierten Artillerie selbst teilnahm, wurde es mir klar, dass ich als ein Blinder oder Verletzter, dem die Eingeweide aus dem offenen Bauch hervorquellen, herauskommen kann. Die Angst verfolgte mich solange, bis einer von meinen Soldaten im verlassenen Lager einen ganz neuen VIS fand und mir ihn schenkte. Diese Tatsache machte mich sofort zum "gieroj" (russ. "Held"). Ich wusste schon, dass ich entweder überlebe, oder Selbstmord begehe und so diesem Alptraum - dem Leiden, das für mich das absolute Übel ist - entkomme. Keine "Gabe des Leidens".
      Ein ähnliches Benehmen beobachtete ich bei einer Jüdin, der Freundin von meinen Eltern. Sie war ihre Schülerin in der Zeit, als sie in Przemy¶l ein privates Gymnasium für Mädchen hatten. Während der Okkupation wohnte sie in Warszawa, an der arischen Seite. Jedes mal, wenn sie bei meinen Eltern hereingestürzt kam, sagte sie lächelnd: "Mich nehmen die Deutschen nicht lebendig für die Seife" und zeigte dabei auf ihre Handtasche, wo sie eine Giftampulle trug.
      Und jetzt über meine eigenen Erfahrungen mit der Euthanasie.
      In okkupiertem Warschau sind mein Onkel, Jan Dybowski, ein aktiver Teilnehmer der polnischen Untergrundbewegung, und seine Frau, der Gestapo in die Hände gefallen. Der zuckerkranke Onkel ist bald gestorben aber seine Frau - die in ihren besten Jahren war - konnte viel ertragen. Vom Pawiak-Gefängnis erhielten wir die Information, dass die furchtbar gefolterte Tante Wiktoria, schrecklich leidet und dabei noch lange am Leben bleiben kann. "Man soll der Tante sterben helfen" – sagte zu mir meine Schwester. Von einer Bekannten, die Chemiker war, bekam ich Zyankali, das zum Pawiak geschmuggelt wurde. Die Tante starb in wenigen Sekunden. Ihr Leiden wurde unterbrochen. Ich akzeptiere das, was ich damals getan habe.
      Eine andere Erfahrung aus der Okkupation habe ich einmal in der Erzählung Zum Feuertod! beschrieben. Ich führe einige Fragmente davon an: Gegen Abend haben sie uns in die Stanislawkirche in Wola gejagt. Die Kirche war voll von Männern, die saßen und lagen, wo es gerade kam. Manche von ihnen waren schmutzig und mit Blut befleckt... Ich legte mich in der Nähe des Eingangs hin. Plötzlich kamen einige Deutschen herein und schauten sich unter den Liegenden um. Ein Gedanke fuhr mir durch den Kopf: sie nehmen Geiseln. Ich schlug die Beine unter mich und mit der Hand verhüllte ich mein Gesicht. Ein wenig später spürte ich einen Stoß mit dem Schuh in den Rücken. und hörte: Auf! Einige zehn von uns wurden aus der Kirche hinausgeführt und in vieren geteilt. Ich atmete auf;
      es wurde mir klar, dass sie uns zu einer Arbeit schicken wollten.
      An der Umzäunung der Kirche lagen viele zerschlagene Möbel und stand ein Kanister. Vielleicht einer von diesen, die die Aufständischen zum Begießen der Panzer vorbereitet haben. Man ließ uns, einen großen Haufen bilden, mit Benzin begießen und anzünden. Dann führten sie uns ein Stück weiter, wo es viele nebeneinander gelegte Leichen von Männern und Frauen gab, und ließen uns sie zum brennenden Haufen tragen. In einem Moment, als wir einen Mann trugen, bewegte sich dieser und stöhnte. Wir ließen ihn zum Boden fallen. Einer von den auf uns Acht gebenden Soldaten näherte sich, rief: "Scheiße!" und trat zurück. Dann näherte sich der andere und richtete das Gewehr gegen die Brust des Liegenden. Ein Schuß knallte. Nach der Mahnung warfen wir den zuckenden Körper auf den Haufen.
      Mein letztes Treffen mit der Euthanasie war, als ich schon alt war, also in der Zeit, wo man schon nicht mehr richtig sieht und hört, dagegen aber alles besser wahrnimmt, weil man mehr Zeit zum Nachdenken hat.
Ich hatte einen Nachbarn, wir mochten uns. Erinnerungen an ähnliche Erlebnisse, ähnliche Ansichten, die gleichen Sympathie- und Haßgefühle Leon Schwartzenbergbrachten uns näher. Und einmal kamen schlechte Zeiten für ihn. Allmählich wurden seine Hände immer mehr gelähmt. Ärzte, ein Masseur, ein wunderbewirkender Kräuterkenner wussten ihm nicht mehr zu helfen. Ein am Schlüssel angeschweißtes Querstück half beim Umdrehen nicht mehr. Später konnte er sogar seine Hose nicht mehr schließen. Er war sich dessen bewusst, dass es noch schlimmer sein wird. Physisch litt er nicht. Er las viel. Er hörte auf, mich zu besuchen. Als ich einmal zu ihm kam, fragte er mich, ob ich ihm vielleicht helfen könne... Meine häretischen Ansichten kannte er. Ich antwortete, dass ich ihm Bücher leihen kann. Er hatte eine Frau, und in der Stadt noch eine Schwester und eine verheiratete Tochter. Einmal ging die Frau ins Krankenhaus zur Operation. Die Schwester kam jeden Tag gegen Mittag. Eines Tages fand sie ihn auf dem Fußboden. Erste Hilfe, Krankenhaus, Magendusche. Ein unangenehmer Kerl, der sich selbst nicht bedienen kann. Man schickte ihn in die Irrenanstalt.
      Erst dann bekam ich Gewissensbisse: ich ging dorthin um ihn herauszuholen. So, dass er doch in seiner Wohnung und nicht mehr unter den Irren verrecken konnte. Nur dazu entschloss ich mich, weil mich das, offen gesagt, nicht viel kostete.


Leon Schwartzenberg
      R.D. Ein berühmter französischer Arzt, Onkologe, Leon Schwartzenberg, sagt, dass dieser Arzt, der vor Angst vor dem Gesetz, vor der - aus seinen religiösen Überzeugungen folgenden - Verurteilung, oder der sich einfach nicht engagieren will und eine abwartende Haltung einnimmt, einfach ein Feigling oder Hypokrit ist. Sind Sie auch der Meinung?

      A.R. Ja, ich stimme zu. Es ist aber nicht schwer, die Rolle des Verteidigers dieses Feiglings und Hypokriten zu spielen. Wir alle benehmen uns doch ähnlich. Es gibt kaum solche Leute, die ihre Stellung, Karriere, Achtung der Umgebung riskieren werden, um jemandem sein Leiden zu unterbrechen. Die menschlichen Seelchen sind nicht groß. Man hat experimentiert, indem man eine Puppe von menschlicher Größe am Rande der Straße gelegt hat. Achtzehn von zwanzig Autofahrer haben nur Gas gegeben, statt neben dem vorgetäuschten Toten anzuhalten.
      Ich weiß, auf wen Sie mit ihrer letzten Frage Anspielung machen. Ich bin in der Situation, wo ich mir die ehrliche Antwort leisten kann. Ich bin kein Christ. Jesus sagte (trotz der Ansichten im Alten Testament), dass alle Leute die Nächsten sind und dass man sie so, wie sich selbst lieben soll. Sogar die Feine? Ich gestehe offen, dass ich dazu nicht im Stande bin. Ich selbst habe getötet. Manche Leute sind mir gleichgültig und manche finde ich so ekelhaft, dass ich mich freue, wenn ich höre, dass sie der Schlag trifft. Es gibt auch solche, die ich mag oder sogar liebe. Zwar leben sie heute schon meistens nur in meiner Imagination. Außerdem liebe ich mich selbst mehr als die, die ich für meine Nächsten halte. Wenn etwas zu tun ist, wobei man seine Haut riskieren soll, dann beteilige ich mich nicht daran. Als ich jünger war, machte ich das manchmal zum Spaß oder meinen Feinden zum Trotz.
      Kommen wir kurz zu meinem Nachbarn zurück. Ich wusste: falls sie es entdecken, dass ich ihn getötet habe oder ihm beim Sterben geholfen habe, komme ich vors Gericht. Und wenn ich mich auf meine Ansichten berufe oder vor dem Richter die Worte von Christus anführe: "Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet", dann komme ich in die Irrenanstalt – wohin auch mein Nachbar kam, als ihm seine Autoeuthanasie misslang.
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Napisz do mnie Webmaster - Tadeusz Bury


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