MATADORE und EUTHANASTEN


1


Tadeusz Bury homepage


prof.Alfred Rachalski HomePage

    START | 1 | 2 | 3 | 4

A l f r e d R a c h a l s k i

M A T A D O R E
u n d
E U T H A N A S T E N
Ein Interview mit dem Autor geführt von Rafael Derfla,
ergänzt mit
Klassifikation des Begriffs THANASE

Titel der Originalausgabe: MATADORZY I EUTANASCI

Copyright (C) by Alfred Rachalski & Wydawnictwo Marabut Gdañsk 1997
Umschlagmotiv: Zeichnung von Pablo Picasso
Aus dem Polnischen übersetzt von Gabriela ¯elewska
Mit Andenken an Bob Dent aus Australien,
den ersten legalen Euthanasten,
September 1996,

      RAFAEL DERFLA: Herr Rachalski, vom Rundfunk und von der Presse her weiß ich, dass Sie Anhänger der Euthanasie sind. Bevor wir jedoch zu diesem Thema sprechen, möchte ich feststellen, was wir unter dem Begriff Euthanasie verstehen werden. Geben Sie bitte Ihre Definition dieses Begriffs an.

      ALFRED RACHALSKI: Ich bin auch der Meinung, dass man damit anfangen soll. Euthanasie ist ein Fremdwort, das für die Polen vieldeutig und noch häufiger unklar ist.. Eine Umfrage auf der Straße hat bewiesen, daß es viele Menschen gibt, die die Bedeutung dieses Wortes gar nicht verstehen. Übrigens: mit ähnlichem Ergebnis endete die Umfrage zur Bedeutung des Begriffs Elektorat. Für einige Leute war das Wort völlig fremd, und viele andere assoziierten es mit der Elektrizität. Mit dem Begriff Euthanasie ist es noch schwieriger, weil die Euthanasiegegner, zum Zweck der Herabsetzung, gebrauchen dieses Wort in der von den Hitleranhängern praktizierten Bedeutung, d.h. als Synonym des Mordes an Kranken und Häftlingen in den Konzentrationslagern.
Hier bringe ich also einige wissenschaftliche Erklärungen dieses Begriffs:
1."Sterbeerleichterung (insbes. Milderung des Todeskampfes) durch Gabe von Betäubungsmitteln (Lebensverkürzung durch die Euthanasie ist dadurch ein strafbares Delikt)" ( DUDEN Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke);
2. "1.a) Erleichterung der Herbeiführung des Todes bei unheilbar Kranken durch Medikamente oder. durch Abbruch der Behandlung.
2. Vernichtung von für lebensunwert erachtetem Sterbens, bes. durch Schmerzlinderung mit Narkotika;
b) absichtliche menschlichem Leben. (DUDEN Deutsches Universalwörterbuch);
3."Aus Mitleid Verursachen eines leichten und schmerzlosen Todes für unheilbar Kranke, die an Schmerzen leiden" (Ox. Adv.L.Dict.Oxf. Univ. Press);
4. "Gruppe von Methoden, die einen schmerzlosen Tod verursachen, dessen Zweck die Verkürzung einer langen Agonie oder tödlichen Krankheit ist" - Petit Larousse.
      Meine eigene Definition des Begriffs "Euthanasie" heißt: Töten eines Menschen von einem anderen Menschen unter der Voraussetzung, dass es zum Ziel das Beste des Getöteten hat.

      R.D. Ist das Auftreten des Wortes Töten (siehe Synonyme: Totschlag, Ermorden, Mord) nicht entscheidend darüber, dass wir mit etwas definitiv Bösen, Unwürdigen zu tun haben?

      A.R. Überhaupt nicht! Mit dem Wort Töten können wir auch Wörter mit positiver Bedeutung assoziieren, wie: Rettung, Liebe, Aufopferung, Befreiung, Erlösung.
Ich unterscheide zwei Arten des Tötens eines Menschen von einem anderen. Die erste ist eine unwillkürliche, unbeabsichtigte Tötung. Sie kann ohne Schuld sein, doch wird sie oft mit Schuld, wenn auch unbeabsichtigter, belastet. Über diesen Fall (wie z.B. eine tödliche Verletzung des Fußgängers auf der Straße) gehe ich in meinen weiteren Betrachtungen hinweg.
Ich interessiere mich nur für die beabsichtigten Tötungsfälle, die von einem geistesgesunden und seines Ziels bewussten Menschen, durchgeführt werden. Die wesentlichen Fragen heißen: Cui bono will er töten? Zum Besten welches Menschen? Cui prodest? In wessen Interesse? Mit wessen Nutzen?
Diese Fragen benötigen erstens einer Definition des angewandten Termins das Beste und zweitens der Feststellung, wer "Eigentümer" dieses Verlangens sein kann.

      R.D. Also kommen wir zur ersten Frage: Was ist dieses Beste, dieses bonum?

      A.R. Als das Beste für eine Person bezeichne ich alles, was im bestimmten Moment zum Gegenstand des - schon realisierten oder des noch beabsichtigten - Verlangens des betroffenen Menschen wird. Und hier einige Beispiele solches Verlangens, dessen Gegenstand, meiner obigen Definition nach, das Beste für einige Personen bedeuten kann:
Verlangen nach Erhaltung des eigenen Lebens;
Verlangen nach Essen und Trinken; Verlangen nach Rauschgift;
Verlangen nach Vermeiden vom physischen oder psychischen Leiden;
Verlangen nach Fürsorge und Hilfe für die anderen;
Verlangen nach Besitzergreifung; Verlangen nach Dominanz;
Verlangen nach dem Töten anderer Lebewesen...

      R.D. Einige von diesen Beispielen sind sogar schockierend.

      A.R. Ich glaube nicht. Vergessen Sie nicht, dass ich als das Beste nur das bezeichnet habe, was im bestimmten Moment zum Gegenstand des Verlangens wird. Ich rufe keine andere Bedeutung des Begriffs das Beste herbei.

      Legen wir für einen Augenblick unsere Betrachtungen zu den "tiefsten" Themen beiseite um nach den alltäglichen Beispielen zu greifen. Nach dem Füllen des Magens, nach der Einspritzung eines Rauschgifts erreichen wir einen (Glücks)zustand, in dem das Verlangen nach Essen oder Rauschgift nicht mehr zum Gegenstand unseres Verlangens wird, und damit zu unserem aktuellen Besten. Wenn das Verlangen zurückkehrt, sind wir wieder bereit, viel für seine Erfüllung zu opfern - manchmal sogar nach der Regel, dass der Zweck alle Mittel heiligt oder dass das Hemd jemandem näher als der Rock ist ... Solches Verlangen können wir - laut meiner Definition des Besten - überwinden, was jedoch nur dann möglich ist, wenn es im Widerspruch mit einem anderen, für uns wichtigeren Besten steht. Wenn ich auf der Jagt nicht schieße, weil mir ein Hirschkalb leid tut, dann mache ich es nur deswegen, weil für mich das Verlangen nach dem Schenken des Lebens größer ist, als das Verlangen nach dem Totschlag. Ein ausgezeichnetes Beispiel für die Wahl zwischen zwei Arten vom Besten von verschiedenem Wichtigkeitsgrad bringt der Roman von Zofia Kossak-Szczucki Beatum scelus (Besitzergreifung eines römischen Gemäldes mit der Mutter Gottes).
      Kommen wir auf unsere ersten Überlegungen zurück. Wenn ich meinen Feind töten möchte, dann kommt es vor, dass ich bereit bin, mein Leben einzusetzen. Das Verlangen nach dem Töten kann in der bestimmten Situation größer als das Verlangen nach der Schonung des eigenen Lebens sein. Hier haben wir mit zweierlei Verlangen zu tun, die - laut meiner Definition des Besten - als zwei Arten des Besten bezeichnet werden können.

      R.D. Versuchen wir jetzt eine Antwort auf die zweite Frage zu finden: Wer, Ihrer Meinung nach, kann "Eigentümer" des Verlangens nach Töten – einem beabsichtigten oder schon durchgeführten Töten - sein?

      A.R. Es ist klar: das kann entweder der getötete oder der tötende Mensch sein.

      R.D. Kann man wirklich den Willen haben, getötet zu werden? Kann man sterben wollen?

      A.R. Natürlich. Es kommt vor. Eben dann kann die Euthanasie stattfinden. Sie kann, muss aber nicht stattfinden.

      R.D. Warum nur kann?

      A.R. Damit es zur Euthanasie kommen könnte, muss es auch einen Menschen geben, der sie durchführt - nennen wir ihn: Euthanast - bei dem das Verlangen nach der Hilfeleistung größer wäre als das Verlangen nach dem Vermeiden von eigenen Schwierigkeiten und Leiden (Ostrazismus der Umgebung, vors Gericht gestellt werden usw.). Mit anderen Worten: es muss einen Menschen geben, bei dem der Wille nach dem Erweisen der letzten Wohltat größer wäre, als das Beste, das auf Bewahrung der eigenen Ruhe oder sogar eigenes Lebens beruht.
      Es kommt manchmal vor, dass ein Mensch zugleich der Tötende und der Getötete ist – diese Situation nennen wir Autoeuthanasie. Oft ist sie jedoch unmöglich, weil sie vom Autoeuthanast die physische und psychische Fähigkeit zu dieser Tat verlangt.

      R.D. Sie sind ja damit einverstanden, dass sowohl Autoeuthanasie als auch Euthanasie die außerordentlichen Situationen sind?

      A.R. Ja, selbstverständlich. Das Verlangen nach Erhaltung eigenes Lebens gehört zu den wichtigsten, instinktiven Arten des menschlichen Verlangens. Es gehört zu seinen wichtigsten Gütern. Nur in einer ganz außergewöhnlichen Situation kann das Verlangen nach eigenem Tode größer als das Verlangen nach der Erhaltung eigenes Lebens sein. Und nur in dieser Situation kann die Atoeuthanasie stattfinden. Sie wird im eigenen Interesse (Vermeiden der Leiden) oder - wenn auch selten - aus anderen Gründen durchgeführt. Hier meine ich jene "süße" Rache oder den Hass. Als Beispiele dafür sehe ich polnische Freiwilligen für die "lebendigen Torpedos" im September 1939, japanische Kamikaze, islamische Fundamentalsten, die anhand von Terrormethoden gegen Israel und den USA kämpfen und viele andere.
      Sogar eine typische Euthanasie gehört heutzutage zu den ganz außerordentlichen Erscheinungen. Sie erfordert nämlich die Erfüllung einer zusätzlichen Bedingung - Auftreten eines anderen Menschen, der bereit wäre, den Wunsch des betroffenen Menschen zu erfüllen, ihn zu töten, also es zu seinem Besten zu tun.

      R.D. Aus Ihren Worten kann man also die Schlußfolgerung ziehen, dass der typische Euthanast auch zu seinem eigenen Besten tötet, weil der Wille zur Hilfeleistung sein Verlangen ist.

      A.R. Ja, das stimmt. Er tut das jedoch – und vor allem – zum Besten des Getöteten. In den meisten Fällen jedoch richtet sich der Tötende aus-schlieslich nach seinem eigenen Besten. Diese Menschen nenne ich: Matadore.

      R.D. Warum denn?

      A.R. Diese Antwort reicht zwar über unser heutiges Thema hinaus, doch ich möchte gerne antworten. Zuerst gebe ich einige Definitionen des Wortes Matador, nach denen es zwei Bedeutungen dieses Begriffs gibt:
      1. "Stierkämpfer, der dem Stier den Todesstoß versetzt", "wichtigster Mann, Hauptperson". (DUDEN Deutsches Universalwörterbuch);
      2. "zur Tötung verpflichtetes Torero, hochgestellte Person. (Dictionare le petit Robert.);
      3. "Stierkämpfer im Stierkampf, der den Stier zu töten hat", "Berühmtheit, hervorragender Mann, Anführer" (DUDEN Das Fremdwörterbuch.); Ich verwende das Wort Matador in beiden Bedeutungen zugleich und beziehe es auf die gleiche Person. Den Grund dafür möchte ich gleich erklären. Jeder Mensch identifiziert sich im gewissen Grade mit seiner Gemeinschaft als ihr Teil:
ich = wir (unsere Gruppe), er = sie (Fremde). Um es mehr anschaulich zu machen könnte ich sagen, dass jeder Mensch auch zum Teil eines anderen, übergeordneten Organismus wird, d.h. der Gemeinschaft, zu der er gehört. Das Töten wird meistens nicht nur zu seinem eigenen Besten, sondern auch zum Besten seiner "Gesellschafter": Stammverwandten, Glaubensgenossen u.ä. durchgeführt.
      Deswegen wird derselbe Mensch zum Matador in beiden Bedeutungen des Wortes zugleich. In seinen eigenen Augen sowie in Augen der Mitglieder seiner Gemeinschaft ist er ein Wohltäter, also eine hervorragende Person und in Augen der Fremden wird er zum widerlichen Missetäter. Dieser hervorragende, schön angezogene Stiertöter verkörpert das, was ich meine: eine Doppeldeutigkeit der Einstellung, die von der Zugehörigkeit zu einer Gruppe abhängig ist.
      Der Kannibale, der für seine Familie Fleisch mitgebracht hat, wird von seinen Frauen und von seinen Kindern geliebt und geschätzt. Die Menschenfresser in der Nachbarschaft dagegen haben Angst und hassen ihn als einen Übeltäter. Der deutsche Soldat im ersten Weltkrieg, der mit Phosgen die französischen Soldaten vergiftete, wurde einerseits als grausamer germanischer Barbar und Aggressor betrachtet. Von den anderen dagegen wurde er für einen tapferen Krieger, der seinen Kaiser und sein "über alles" stehendes Vaterland liebt, gehalten. In ihren Augen blieb er unter Gottes Obhut, was die Aufschrift: "Gott mit uns" auf der Schnalle seines Gürtels bestätigte. Ganz unterschiedlich konnten auch die Taten anderer Gruppen von Menschen beurteilt werden: der Söhne Israels - Auserwählten des Herrn, die seinen Befehlen folgten und zugleich den Stamm von Moabiten ermordet haben; der polnischen Exekutoren der Pazifikation im okkupierten Spanien, die zum Ruhm der polnischen Waffe handelten (siehe Stiche aus den napoleonischen Kriegen, Autor: PHILIPPOTEAUX; z.B. Stich u.d.T. "Lanciers polonais"); der Nazis, die zum Wohl des Dritten Reiches ihre geisteskranken Landsleute getötet haben; der Vernichter von Mädchen zum Nutzen des Reiches der Mitte; der Kommunisten, die zum Wohl der Proletarier mit Kulaken kämpften; der Fundamentalisten, die Ungläubige ermordeten um später ins Paradies zu kommen, oder zum Ruhm ihres Gottes, oder auch im Auftrage seiner Vermittler; u.s.w., u.s.w.

      R.D. Kommen wir noch einmal auf ihre Unterscheidung zwischen Euthanasten und Matadoren zurück. Ich versuche diese Begriffe zu definieren.



Lanciers polonais


Euthanast ist ein Mensch, der zum Besten des Getöteten tötet. Matador ist ein Mensch, der zum eigenen Besten oder zum Besten der Mitglieder seiner Gesellschaft – die den Charakter einer Familie, eines Stammes, Volkes, Kultus, einer Religion, einer Mafia u.ä. haben kann – tötet.
      A.R.: Mann soll sich sogar darüber klar werden, dass es in der Geschichte der Menschheit nur wenige Euthanasten und Autoeuthanasten gibt, dagegen aber sehr viele Matadore. Das Verhältnis beträgt vielleicht eins zu hunderttausend.
      R.D. Ich habe schon Ihre Ansichten zum Thema: Euthanasie kennengelernt. Möchten Sie vielleicht noch eine andere Frage beantworten: was hat dazu beigetragen, dass Sie zum Anhänger der Euthanasie und ihrer anderen Form: Autoeuthanasie geworden sind?
      A.R. Zwei Faktorengruppen haben meine Ansichten zu diesem Thema beeinflußt, und sie tun es immer noch. Zu der ersten, theoretischen Faktorengruppe gehören die Äußerungen anderer Personen und ihre Beschreibungen der eigenen oder fremden Erlebnisse. Die andere Gruppe bilden meine persönlichen Erfahrungen und Überlegungen, die mit den mir persönlich bekannten Fällen der Euthanasie und Autoeuthanasie verbunden sind. Aus den Äußerungen der anderen Personen möchte ich diese erwähnen, die am tiefsten in mein Bewußtsein eingedrungen sind. Einige werde ich frei zitieren, die anderen aus den Büchern, die ich bei der Hand habe.

Professor Tadeusz Kotarbiñski


      ... Es ist jedoch kein Argument gegen die Selbstvernichtung selbst: man darf einfach nicht seine Pflichten vernachlässigen, jeder darf machen, was er will, jedoch in den Grenzen der aufgenommenen Verbindlichkeiten und unter der Bedingung, dass man ihnen nachkommt. Jedoch in diesen Grenzen und unter dieser Bedingung mag er mit seiner Person machen, was er will, auch seinem Leben ein Ende machen, wenn das für ihn das kleinste von allen möglichen Übel sein wird, frei nach seiner Erkenntnis. Und es soll dann nicht nötig sein, dass er, wie man sagt, "sich eine Kugel durch den Kopf schießt" oder sich unter den Zug stürzt, oder sich aufhängt, oder irgendwie anders brutal mit sich umgeht. Das Problem der Euthanasie im allgemeinen und ganz besonders der freiwilligen Euthanasie wird seit Jahren immer wichtiger. Mann soll nicht nur rücksichtslos und anhand aller möglichen Mittel die Personen - die nach reiflicher Überlegung das Ende ihrer Existenz hervorrufen wollen, und sich von der unvermeidlichen Qual befreien wollen, von ihrer Absicht abbringen - sondern umgekehrt, ihnen in dieser Hinsicht freundliche juristische und technische Hilfe leisten. Die Medizin soll uns alle belehren, wie man das machen kann, und man soll das nicht nur ohne Qual aber sogar mit Euphoriegefühl durchführen. Es ist eine zum Kampf mit dem Unglück besonders wichtige Kenntnis, desto wichtiger, dass die Überzeugung immer größer wird, dass eine freiwillige, beabsichtigte Beendigung seines eigenen Lebens unter den Bedingungen der Euthanasie als die Form der Beendigung, die des vernünftigen Menschen am meisten würdig ist, immer größere Anerkennung gewinnen wird. Diese Form soll viel vernünftiger sein, als die Erwartung des gewöhnlich brutalen Aktes von Seiten der Natur oder des Zufalls, oder der Nächsten, die nicht in unserem, sondern in ihrem eigenen Interesse handeln. Die Menschen befürchten mehr das Sterben als den Tod. Die Befreiung des Menschen von dieser Angst wäre ein besonders wohltätiger Akt. Es würde sich dann herausstellen, in welchem Grade die Möglichkeit eines heiteren Denkens an seine eigene Zukunft, von der Bewältigung dieses Alptraums abhängig ist. Erst dann werden in aller Pracht die Reize des möglichen Lebens vor den Augen jedes Menschen, der sich die heute betrachtete Frage stellt, leuchten.
      Die Siegesbeschreibung des Tschechen Hlava über van Krist im Duell, was mit dem Miserikordie-Stich in den Hals des besiegten Deutschen endet. («Miserikordie - ein kurzer Dolch für den "Gnadenstoß" beim sterbenden Gegner» - W. Kopaliñski, S³ownik Wyrazów Obcych).
Aus dem Polnischen übersetzt von Gabriela ¯elewska
      Im zweiten Band: eine Beschreibung der Euthanasie, die der Sohn an seinem an Urämie leidenden Vater, Urologe von Beruf, durchführt.

Dr. Christiaan Barnard
      Vor einigen Jahren stand ich mit meinem jüngeren Bruder Marius, der auch ein Kardiochirurg ist, bei einem Patienten, der an Lungenkrebs litt und langsam erstickte. Es war ein tapferer, ehrlicher Mensch, der sein Leben würdevoll geführt hat und sehr gut für seine Nächsten war. Er hat sein Schicksal ohne Klagen hingenommen. Wir beobachteten ihn, wie er um jeden Atem kämpfte. Plötzlich öffnete er seine Augen, erkannte uns und sein abgemagertes Gesicht hatte noch soviel Kraft, um uns einen Schatten des Lächelns entgegenzubringen. Er konnte nicht mehr sprechen aber in seinen Augen konnte man einen Hilferuf lesen. Es gab nur eine einzige wirksame Form der Hilfe. Diese war jedoch rechtlich verboten.
      Als wir uns entfernten - Marius und ich – beide von der Hilflosigkeit erschüttert, schworen wir uns, wenn sich einer von uns einmal in solcher Lage befindet, wird er sich auf den anderen verlassen können. Wir haben zwei Möglichkeiten der Handlungsweise vereinbart: falls sich der Kranke nicht bewegen könnte, sollte man ihm die fatale Dosis verabreichen, wenn er aber beweglich bliebe, sollte man an seinem Kopf eine reichliche Menge von Tabletten liegen lassen, so, dass er Selbstmord begehen könnte.

Professor Józef Maria Bocheñski
      Wenn dir dein weiteres Leben zweifellos und unter allen Umständen unerträglich erscheint, begehe den Selbstmord. Die altertümlichen Weisen sagten: porta semper aperta est - "Die Pforte bleibt immer offen". Die Begründung dieser These soll klar sein. Stellen wir uns einen Menschen vor, der schreckliche Schmerzen leidet und weiß, daß er in diesem Leid keine Erleichterung mehr findet, also, dass er keine Möglichkeit mehr hat, ein gutes Leben zu führen. Man sieht also instinktiv, dass in dieser Lage der Selbstmord zweckmäßig ist.

Jerzy Zawieyski
geb. 2. 10.1907, gest. 18.6.1969.
Studium an der Dramaturgischen Hochschule. 1925-1929 Mitglied der Gruppe "Reduta". Direktor des Instituts für Volkstheater. Literarischer Leiter des Theaters "Ateneum". 1946-1949 Vorsitzender der Polnisch-Französischen Gesellschaft. Präsident des Polnischen Klubs der Katholischen Intelligenz.
Mitglied der Redaktionen von "Tygodnik Powszechny" und "Znak".
1957-1969 Sejmabgeordneter.
1957-1968 Mitglied des Staatsrats.
Lehrbeauftragter an der Katholischen Universität in Lublin.


»Der 16. April 1968 *
      Als ich das Haus betrat, rief mich Dr. Gaszkowski von der Kanzlei des Staatsrates an, und sagte, dass er das Auto zurücknehmen muss. Ich fragte, ob ich Recht auf ein dreimonatiges Gehalt hätte. Er antwortete kurz: nein.
      Morgen fahre ich zum Primas, um für alle meine Angelegenheiten zu beten. Damit unterbreche ich dieses Tagebuch. In der Zukunft beschreibe ich, falls ich noch leben werde, die Fortsetzung meines politischen Dramas, das ich auf diesen Seiten entwickelte. »
      [...] Das letzte Fragment des Tagebuches, das ich in mein Notizbuch abgeschrieben habe, stammt vom 14. April 1969:
»Im Verlag "Czytelnik", wo ich die Korrektur abgegeben habe, habe ich erfahren, dass der Verlag mit Herausgabe meines Buches Pomiêdzy plew± a mann± (Zwischen Spreu und Manna) zögert. Es ist zu befürchten, dass die Zensur meine Erzählung über Rejtan nicht zulässt [...]«
      Sechs tage später, am 20. April 1969, um 4 Uhr morgens ergriff ihn die Krankheit. Sein ganzes Leben lang litt er an einer Herzkrankheit, aber den entscheidenden Stich gab ihm die Wut, die sein Blut in Wallung brachte. Die Apoplexie hat ihn teilweise gelähmt (Agraphie) und er konnte nicht mehr sprechen (Aphonie).
      Man hat ihn ins Krankenhaus des Gesundheitsministeriums gebracht (in dieser Hinsicht behielt er noch seine Berechtigung als Abgeordneter). Er lag im vierten Stock, in der neurologischen Abteilung. Dort quälte er sich noch zwei Monate lang. Seine Freunde, die ihn besuchten, waren sich darüber einig, dass das Schlimmste war, dass dieser Fetzen eines menschlichen Körpers - halbgelähmt, mit deformiertem Gesicht, der nur einige unartikulierte Laute von sich geben konnte - nicht für ein Moment sein Bewusstsein verlor. Das konnte man an seinen Augen und an einigen Reaktionen erkennen, die nur für die besten Freunde und für das Krankenhauspersonal verständlich waren. Er konnte auch teilweise seine Beine bewegen und dank dem konnte er sich mit großer Mühe und mit einer entsprechenden Stütze im Korridor des Krankenhauses fortbewegen. Diese Tatsache war sein Glück und hat über die späteren Ereignisse entschieden.
      Am 18. Juni 1969 - mitten in der Nacht - kam er aus seinem Zimmer in den Korridor herein und mit einer übermenschlichen Anstrengung - wie es später die Ärzte beurteilten - gelang er in die offene Tür, die auf die Terrasse ging. Dann, nachdem er sich der Balustrade näherte, kletterte er darauf und warf sich vom vierten Stock auf den Asphalt der Straße. Er war auf der Stelle tot.
      Die Leute haben viel über diesen Tod geredet. Die meisten zweifelten nicht daran, dass es ein Selbstmord war. Die Tatsachen waren deutlich genug um diese Version anzunehmen. Bei der Beerdigung hat es schließlich die Abwesenheit des Großen Primas von Polen bestätigt. Er war Betreuer und guter Freund von Zawieyski aber in der Sache des Lebensschutzes- was sowohl sein Beginn als auch Ende betrifft - er keine Kompromisse zu.



      Die Beschreibung eines sterbenden Deutschen. Er steckte in einem Bombentrichter und rief immer schwächer: "Tötet mich!". Die Kollegen konnten ihm aber nicht helfen obwohl sie es wollten, weil sie unter dem Trommelfeuer der Franzosen standen.


      Die Araber sind verschwunden.
      Wir haben jedoch nicht gewagt, sich von der Stelle zu entfernen. Also haben wir die drei Toten begraben und dann saßen wir und aßen das, was uns noch übrig geblieben ist. Es gab unter uns auch zwei Verwundete, die noch am frühen Morgen verletzt wurden und den ganzen Tag lang in der heißen Sonne, in Blutlachen lagen - ohne Verband, halbtot. Sie quälten sich schrecklich.
      Der Oberleutnant hielt sich bei ihnen auf, schaute sie trübsinnig an, gab ihnen die Hand, dann zog er den Revolver heraus und zeigte, dass er ihnen den Todesstoß versetzen wird. Sie konnten nicht sprechen, doch sie gaben Zeichen mit ihren Augen, dass er so schnell wie möglich ein Ende mit ihnen machen soll.
Dann kam die Szene, die ich bis ans Ende meines Lebens bestimmt nicht vergesse. Die Kompanie formte ein Viereck, dann fiel das Kommando: "Präsentiert das Gewähr!". So standen wir und schauten zu, wie die beiden Verwundeten mit durchgeschossenen Brüsten ruhig und ausgestreckt da lagen. Sie stöhnten nicht mehr, blickten nur mit verschleierten Augen in die Sonne hinein.
      Der Oberleutnant salutierte, dann nahm er das Gewehr von der linken Hand in die rechte. Zwei Schüsse knallten, dann wieder zwei, dann fiel das Kommando: "Gewähr an den Fuß!" und das war Ende.



      Masada, ein außerordentlicher, vierhundert Meter hoher Felsen [...] , den [...] Herod in eine riesige Festung umwandelte. [...] Als sie der römische Feldherr Silva gegen Ende 72 u.Z. schließlich in Besitz ergriff, befanden sich dort 960 Aufständische und Flüchtlinge: Männer, Frauen und Kinder.[...] Ihr Untergang war unvermeidlich und als es klar wurde, zwang oder überredete Eleazar die gebliebenen Verteidiger zu einem Massenselbstmord. Nur zwei Frauen und fünf Kinder, die sich in eine Höhle versteckten, kamen mit dem Leben davon. Fragmente der Kleidungsstücke, Sandalen, Knochen, ganze Knochengerüste, Körbe, Fragmente der persönlichen Sachen – Vorratsräume blieben unberührt, um den Römern zu beweisen, dass der Massenselbstmord nicht aus Hunger begangen wurde. Alles beweist den hoffnungslosen Mut der Verteidiger[...]. Zwischen den gefundenen Scherben gibt es Überreste, die vermutlich Lose der letzten zehn Menschen waren und entscheiden sollten, wer von ihnen die anderen töten und schließlich Selbstmord begehen sollte. Die zahlreichen Zeugnisse der in der Festungssynagoge abgehaltenen Gottesdienste und Fragmente der vierzehn Rollen von Bibelbüchern, Sektenbücher und apokryphe Schriften zeigen, dass es eine Garnison von gottesfürchtiger Krieger war, die unter großem Einfluß der jüdischen Literatur stand.

Seite 2
Napisz do mnie Webmaster - Tadeusz Bury


Strona utworzona dnia 25-01-1998
przy pomocy programu Paj±czek 3.0.1 lt